Mist ist farbenfroh – grün für Rüstabfälle, braun für Hühnermist, hellbraun für Rindermist. Auf dem Deponieplatz der Biogasanlage auf dem Hof Unterbuck der Familie Christian und Andrea Müller in Thayngen türmen sich Berge, die anschliessend durch einen Schredder verkleinert in die sechs Meter tiefen Gärbehälter gelangen werden. Ein Traktorführer eines Nachbarbetriebs ist gerade dabei, den Anhänger voller Flüssigjauche zu entleeren. Das Gitter der Füllklappe ermöglicht einen Blick in die blubbernde, homogene schwarzbraune Masse. «Wir mixen hier unsere Gemüsesuppe mit diversen Zutaten», scherzt Landwirt Christian Müller, der zusammen mit seiner Frau diese grossdimensionierte Anlage erstellen liess. Die Mikroorganismen, die über mehrere anaerobe Abbauprozesse Methan erstellen, wollen richtig ernährt sein, damit die gewünschten Fermenter-Zieltemperaturen dauerhaft aufrechterhalten werden.
Am Rande der Biogasanlage steht eine Remise, woraus brummige Geräusche entweichen. Hier ist das Blockheizkraftwerk (BHKW) installiert. Bei maximaler Auslastung arbeiten zwei vom Biogas angetriebene Gasmotoren an der Umwandlung in elektrischen Strom.
Langer Atem
Was hier eindrucksvoll steht und jeden Tag reibungslos funktionieren muss, hat eine lange Vorgeschichte. Das Motiv: Nebst der Rindfleischproduktion und dem Kartoffel- und Maisanbau soll dem Landwirtschaftsbetrieb den Einstieg in die Energiewirtschaft gelingen. Eine erste Idee entwarf das Betriebsleiterpaar bereits 2006, das allerdings einen Rechtsstreit mit der Nachbarschaft zur Folge hatte.
2012 gründeten die beiden die Müller Energie GmbH. Mit einem neuen Planungsbüro gelang die Umsetzung eines grundsätzlich neuen Konzepts ab Sommer 2014. «Die 7 Jahre Unterbruch nutzten wir, das Projekt nochmals gründlich zu überdenken. Wir schauten uns verschiedenste Anlagen an. Und die Technik machte grosse Fortschritte», erinnert sich Andrea Müller. «Wir sahen, dass andere Anlagebetreiber die Materialflüsse mit einem Minimum an Energieaufwand steuern», ergänzt Christian Müller. Man lernte von konkreten Beispielen in Süddeutschland, die ohne Schneckenförderer oder andere mechanische Vorrichtungen funktionieren, womit unnötige Hubarbeit für das Beladen der Behälter mit Gärsubstrat entfällt.
Nährstoffbilanz für 10 Höfe
Der primäre Nutzen der Biogasanlage ist zwar die Stromproduktion. Ebenso wichtig sind aber zwei weitere wichtige Vorteile. Zu nennen ist der Ausgleich der Nährstoffbilanz für zehn weitere Höfe in der Region. Landwirte mit sehr hohen Viehbeständen (Hühner, Kühe) bringen viel Substrat, holen aber nur geringfügig Gärrückstände zurück. Andererseits sind Gemüse- und Gartenbaubetriebe an den nährstoffreichen Gärresten sehr interessiert. Gülle-Lieferanten müssen für die Entsorgung der Nährstoffe bezahlen, allerdings fallen für Betriebe die viel Substrat liefern, aber ebenso viel Gärrückstände mitnehmen keine Kosten an.
Bei einigen Berufskollegen brauchte es Lerneffekte, bis sie als Partner mitmachten. Denn die Gärrückstände aus der kontrollierten Fermentation und der Nachgärung wirken sich sehr positiv auf die Qualität der Ackerkulturen aus, da die Pflanzen daraus die Nährstoffe sehr gut aufnehmen.
Nahe Wärme für die Energiestadt
Das Bereitstellen von Wärme für den nahe gelegenen Siedlungskern von Thayngen – eine vom Bund ausgezeichnete «Energiestadt» – ist der zweite wichtige Ertrag aus der Anlage. Hierbei nahmen die Müllers ein unternehmerisches Risiko auf sich und bauten für ca. 2 Mio. Franken ein inzwischen 2,5 km langes Nahwärmenetz, das via kommunale Strassen und private Grundstücke zu den Abnehmern verlegt wurde. Zu Beginn brauchte es viel Überzeugungsarbeit, ebenso Mut, das Netz grosszügig zu denken, aber mit einem langen Atem sukzessive umzusetzen. So planten die Müllers grosszügige Rohrdimensionen, auch wenn zu Beginn erst mit wenigen Liegenschaftsbesitzern Abnahmeverträge abgeschlossen waren. Denn viele Anrainer zeigten zwar Interesse, hatten aber meistens keine Dringlichkeit, ihre Heizungen auszuwechseln. «Wir nahmen an einigen Abenden an Mitgliederversammlungen von Stockwerkeigentümern teil, um für unser Projekt zu werben», erinnern sich die beiden an die Anfangsjahre. 2016 gelang der Anschluss einer Grossüberbauung der Anlagestiftung einer Grossbank mit 50 Wohneinheiten. Aktuell ans Wärmenetz sind mittlerweile 250 Wohneinheiten, ein Schulhaus und drei Gewerbebetriebe angeschlossen.
Die ersten Kunden hätten die Müllers bereits 2012 gemäss Vertragspflichten mit Wärme versorgen sollen. Aufgrund von Verzögerungen infolge des damaligen Rechtsstreits stand die Biogasanlage noch nicht. Also entschloss man sich kurzerhand, eine Holzschnitzelheizung zu installieren – ein mittlerweile unverzichtbarer Wärmeerzeuger innerhalb des ganzen Systems. Dieser hilft, die Bedarfsspitzen im Winter abzudecken und dient als Redundanz-Einheit, um so die Wärmeabgabe ausfallsicher zu gestalten.
Energiemanagement
Zwar kann mit dem ganzjährig anfallenden Biogas Bandenergie zur Verfügung gestellt werden. Dennoch bedarf es eines klugen Energiemanagements, um die Bedarfsschwankungen bezüglich der Strom- und Wärmenachfrage auszugleichen. So dient ein grossdimensionierter Warmwasserspeicher von 85‘000 Liter dem Ausgleich der täglichen Fluktuation des Wärmebedarfs der Netzteilnehmer – morgens oder abends wird geduscht, mittags läuft der Geschirrspüler, nachts ist der Heizungsbedarf gering.
Ebenso grosszügig wurde der Gasspeicher konzipiert. Dem regionalen Stromversorger EKS ist es erlaubt, je nach Bedarf im Netz den Strom der Müller Energie GmbH aus ihrer hofeigenen Photovoltaikanlage und den Gasmotoren-BHKWs ins Netz einzuspeisen oder nötigenfalls dies zu unterbrechen. Das Gaslager der Biogasanlage leistet mit seiner Speicherfähigkeit einen Beitrag zur Lastregelung und Stabilität des Stromnetzes.
Naturgemäss sind die Mengen des anfallenden Substrats im Sommer höher als im Winter. «Die ganze Wärme auf kluge Art wegzubringen ist eine Kunst», so Christian Müller. Im Sommer kann überschüssige Wärme dank Netzanschluss an die Autowaschanlage abgegeben werden.
Im Mai 2021 wartet der Hof Unterbuck mit einer Premiere auf: Dann geht nämlich die erste Landwirtschaftliche Inseltankstelle der Schweiz in Betrieb. Die Biogas-Aufbereitung zu Treibstoffqualität wird nochmals die Gesamteffizienz des im Wesentlichen auf Biomasse beruhenden Energiesystems steigern. Mit Blick zurück auf das bisher Geleistete sagt das innovative Betriebsleiterpaar: «Die Landwirtschaft ist prädestiniert für solche Projekte. Mit der Kopplung von Lebensmittelproduktion und Energieertrag leistet sie einen wichtigen Beitrag hin zu geschlossen Kreisläufen.»
Wärme-Kraft-Kopplung der Müller Energie GmbH in Zahlen
Wärmeabgabe im Jahr: 2500 MWh
Länge des Nahwärmenetzes 2,5 km
Anschlüsse Wohneinheiten 250
Stromerzeugung aus beiden BHKW-Einheiten: 2 Mio. kWh
Leistung BHKW 1 (Inbetriebnahme: Dez. 2014): 265 kW
Leistung BHKW 2 (Inbetriebnahme: Jan. 2021): 330 kW
Leistung Holzhackschnitzelheizung 800 kW
Weitere Informationen:
Müller Energie GmbH
Christian und Andrea Müller
Reiatstrasse 51, 8240 Thayngen
unterbuck@bluewin.ch
www.unterbuck.ch