Auf der Autobahnfahrt zwischen Zürich und Luzern sind die zwei grossen Rundbehälter mit merkwürdigen beigen Gashauben gut sichtbar. Ungewöhnliche Objekte auf dem Boden der nicht ganz gewöhnlichen Gemeinde Hünenberg. In den vergangenen Jahrzehnten zogen dank schöner Wohnlage und guter Verkehrsanbindung viele gute Steuerzahler in das bislang ländlich geprägte Dorf. Die finanzstarke Gemeinde im Kanton Zug mit gut 8800 Einwohnern verfolgt bereits seit dem Ende der 90er-Jahre eine umsichtige Energiepolitik, das mit Hilfe eines Förderprogramms das umweltfreundliche Bauen und den Einsatz nachhaltiger Technologien unterstützt.
Im Jahre 2006 gründete die Einwohnergemeinde zusammen mit der Waldkorporation Hünenberg und der Elektrogenossenschaft Hünenberg (EGH) eine Interessengemeinschaft mit dem Ziel, auf ökologisch verträgliche und wirtschaftlich tragbare Art Strom und Wärme zu erzeugen. Bereits 2008 gründeten die drei Partner die BiEAG Biomasse Energie AG, mit der Projektidee, ein Biomasse-Heizkraftwerk (bzw. BHKW) zu erstellen. Alle Bedingungen für eine zügige Umsetzung des Vorhabens waren günstig. Die Genehmigung des Stromverkaufs zum Tarif einer kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) war für die Anlagebetreiber das Startsignal für den Bau der Anlage. Zusätzlich zur KEV erzielt das Unternehmen BiEAG Erträge aus dem Verkauf der Abwärme via Fernwärmenetz aus dem BHKW bzw. der Holzschnitzelfeuerung (Sept- Mai) und aus dem Handel mit CO2-Kompensationsbescheinigungen.
Das Fernwärmenetz wächst
Das gute Zusammenwirken der drei Initianten hat viele Vorteile. So steht das bereits 2011 betriebsbereite Biomasse-Heizkraftwerk auf dem Boden der Korporation; alle Anlageteile (Biogasanlage, Holzschnitzelheizung, Wärmeübergabe usw.) konnten im Baurechtsvertrag erstellt werden.
Es trifft sich gut, dass die Anlage etwas abgelegen von der Bauzone in einer Geländesenke erstellt wurde. Allfällige Geruchsemissionen sind so kein Thema, andererseits ist die Energiezentrale doch nicht weit vom Siedlungskern entfernt. Dies begünstigte das Anlegen eines Fernwärmenetzes.
Die Einwohnergemeinde – inzwischen als «Energiestadt» ausgezeichnet – ging zu Beginn mit gutem Beispiel voran und liess Schulhäuser, Gemeindehaus und den Werkhof ans Netz anschliessen. Ebenso gehörte das Benediktinerinnen-Kloster im Ortsteil Lindencham zu den ersten Wärmebezügern. Im Windschatten der Einwohnergemeinde folgten bald private Interessenten, die bestehende Mehrfamilienhäuser und Neuüberbauungen anschlossen.
Im Büro von BiEAG-Geschäftsführer Patrick Birrer symbolisieren rote Stecknadelköpfe auf einem Kartenausschnitt aktuelle Anfragen von Liegenschaftseignern zu Anschlüssen ans ständig wachsende Fernwärme-Leitungsnetz. «Wir sind kontinuierlich im Ausbau, jedes Jahr folgen weitere Anschlüsse», sagt Birrer. Inzwischen sind nicht weniger als 2500 Wohneinheiten ans Netz angeschlossen. Die drei Träger der BiEAG sind willig, ins Wachstum zu investieren. Dennoch stellt sich die Frage: Kommt jeder Interessent zu einem Anschluss? Der Geschäftsführer stellt betriebswirtschaftliche Überlegungen an und antwortet diplomatisch: «Je höher die geplante Anschlussleistung und je näher die Liegenschaft am Hauptstrang liegt, desto wirtschaftlicher ist der einzelne Neuanschluss.» Immerhin sind die Leitungsdurchschnitte der Hauptstränge gross genug dimensioniert, um über Jahre hinaus Anschlüsse zu ermöglichen.
Und wenn eine Investition dringend nötig ist, wird nicht geknausert. So baute die BiEAG kürzlich ein neues ̶ von der Firma IWK installiertes ̶ Gasmotor-BHKW des Herstellers INNIO Jenbacher ein, der gegenüber des Vorgängermodells deutlich höhere thermische und elektrische Leistung bringt.
Eine Pipeline für die Gülle
Das Schliessen biologischer Kreisläufe ist den BiEAG-Verantwortlichen ein besonderes Anliegen. Um bei der Substratanlieferung das Verkehrsaufkommen möglichst gering zu halten, entschieden die Investoren vorausschauend, gleichzeitig mit dem Bau der Biogasanlage und dem BHKW ein weitverzweigtes Gülle-Druckleitungssystem zu bauen. Damit lässt sich bis zu 33‘000 Tonnen flüssige Gülle geruchsfrei und ohne Traktorfahrten aus 12 Landwirtschaftsbetrieben in die Biogasanlage pumpen. Diese Rohstoff-Pipeline dient umgekehrt auch dem Zurückpumpen nährstoffreicher, aber geruchsfreier Gärgülle aus den Gärlagern. Das durch den Gärprozess entstehende Methan wird im Gasmotor des BHKW verbrannt. Durch den Verbrennungsprozess reagiert Methan mit Sauerstoff zu Kohlendioxid und Wasser.
Ein Balanceakt
Das regelmässige Zuliefern von Gülle und festem Gärsubstrat durch die Landwirte bildet zwar das Grundmaterial für den Betrieb der ganzjährig laufenden Biogasanlage, welche das Treibgas für das das BHKW produziert. Energiereicher sind hingegen vergärbare Co-Substrate aus anderen Quellen, wie beispielsweise Melasse aus der Zuckerrübenverarbeitung, Gastroabfälle (Speisereste, Fette), Permeat aus der Milchindustrie, Brennschlempen aus Schnapsbrennereien, und Abfälle aus Früchte- und Gemüsehandel. «Ich bekomme daraus bis zu Faktor 5 mehr Gasertrag als aus agrarischem Gärsubstrat», verdeutlicht Birrer. Diese so genannten Co-Substrate dürfen allerdings nicht mehr als 20% der zugeführten Biomasse betragen, ansonsten der Anlagebetreiber seine KEV-Bonusbedingungen verletzt.
Holz wird wichtiger
Doch Biomasse ist mehr als Biogas. Denn hinsichtlich der Leistungsfähigkeit stösst die Biogasanlage an Grenzen. Die Landwirtschaft ist im Strukturwandel, Gärsubstrat muss teilweise von abgelegenen Höfen geholt werden. Ausserdem sind die Fermenter gebaut und stossen an Leistungsgrenzen.
Andererseits wächst das Fernwärmenetz unaufhörlich. Hier spielt die vollautomatische Holzhackschnitzelheizung als zweiter Wärmeerzeuger eine wichtige Rolle, welche mittlerweile zwei Drittel der ins Fernwärmenetz eingespeisten Wärme im Jahr liefert. In den Monaten September bis Mai wird sie mit rund 11‘000 m3 Hackschnitzeln versorgt, wobei die Auflage besteht, das Holz möglichst regional – in einem Umkreis von 25 km – zu beschaffen.
In der Werkhalle ist genug Platz für eine zweite Hackschnitzelheizung, welche künftig für Bedarfsspitzen im Winter zugeschaltet werden könnte. Ein Erdgasheizkessel dient bereits heute schon als Notheizkessel im Falle einer Anlagestörung, bei Wartungsarbeiten oder zur Abdeckung von Bedarfsspitzen.
Die Zukunft
Angesichts zunehmender Anschlüsse ist die unmittelbare Zukunft der BiEAG gesichert. Etwas Ungewissheit besteht über die künftigen Rahmenbedingungen der Energiepolitik des Bundes. Denn Förderinstrumente wie die KEV sind nicht in Stein gemeisselt und könnten allenfalls durch Investitionsbeiträge ersetzt werden. Die BiEAG macht sich fit für diverse Szenarien und strebt einen rentableren Betrieb an. Denn die die zu erwartenden milden Winter sollen sich nicht negativ auf die Buchhaltung des Unternehmens niederschlagen.
Wärme-Kraft-Kopplung der BiEAG Hünenberg in Zahlen
Prod. Wärmemenge pro Jahr (2020) 12,8 Mio. kWh
Anteil Holzschnitzelheizung (69%) 8,7 Mio. kWh
Anteil BHKW (23%*) 2,9 Mio. kWh
Anteil Erdgasheizung (8%) 1,0 Mio. kWh
Netzlänge 2 x 16,5 km
Wohneinheiten 2500
*Inbetriebnahme BHKW JMS 312, Erwartung für 2021: 3,7 Mio kWh (Anteil: ca. 29%)
Einspeisung elektr. Strom ins Netz (2020) 3’038 MWh
Installierte Leistung
INNIO Jenbacher Gasmotor (elektr.) 440 kW (Vorg. Mod.: 300 kW)
INNIO Jenbacher Gasmotor (therm.) 480 kW (Vorg. Mod.: 440 kW)
Holzhackschnitzelheizung (therm.) 2’400 kW
Biomasse-„Logistik“
Jauche-Druckleitung 2 x 8,5 km (12 Höfe angeschl.)
Weitere Informationen:
BiEAG
Biomasse Energie AG
Patrick Birrer, Geschäftsführer
Fildern 5, 6331 Hünenberg
pbirrer@bieag.ch
www.bieag.ch