In der Nähe der Ortschaft Worblaufen windet sich die Aare durch eine enge, bewaldete Talsenke. Am rechten Ufer liegen die Klärbecken der 1971 in Betrieb genommenen Abwasserreinigungsanlage (ARA) Worblental. Oberhalb davon mündet der stark kanalisierte und namensgebende Nebenfluss Worble in die Aare, deren Wasserkraft während langer Zeit von Papiermühlen und Hammerwerken genutzt wurde. Die drittgrösste Kläranlage im Kanton Bern hat zur Aufgabe, die Abwässer der rund 71’000 Einwohnern aus zehn Verbandsgemeinden (u.a. Zollikofen, Ittigen, Ostermundigen) entlang dieser Talschaft zu reinigen. Dazu kommen Abwässer aus vielen Dienstleistungsbetrieben und der in der Region stark verankerten Lebensmittelindustrie.
Der im betrieblichen Alltag der ARA entstehende Klärschlamm wird in zwei Faultürmen unter mesophilen Bedingungen ausgefault. Als Abbauprodukt entsteht Faulgas, hauptsächlich in der Form von Methangas und Kohlendioxid (CO2). Bereits seit 19 Jahren wird das Klärgas in der ARA energetisch verwertet, bislang vor allem für den Eigenbedarf an elektrischem Strom und Wärme. Mit der thermischen Energie werden einerseits die Faultürme auf die notwendigen 38°C Betriebstemperatur aufgeheizt, damit die mesophilen Bakterien optimal wirken können, andererseits Komfortwärme für das Betriebsgebäude bereitgestellt.
Wärmeverbund nördlich von Bern
In den 50 Jahren ihres Bestehens war die ARA einem stetigen Wandel unterworfen. Nun steht sie vor einer neuen Etappe zur klimaverträgliche Energiezentrale. Die beiden bestehenden Blockheizkraftwerke (BHKW – Leistung von je 250 kWel), die Wärme und Strom bereitstellten, erreichten nun nach fast zwanzig Jahren das Ende ihres Lebenszyklus. «Wir analysierten die Situation gründlich und kamen zum Schluss: Wenn wir die alten Modelle durch neue BHKW ersetzen, maximieren wir die Energieausbeute aus den ARA-Prozessen und leisten einen Beitrag zur CO2-freie Energiezukunft unserer Region», sagt Markus Baumann, Leiter Projekte und Verfahrenstechnik bei der ARA Worblental.
Dieser Entscheidung zu Hilfe kamen die unternehmerischen Aktivitäten der Wärme-Contracting-Firma EBL (Genossenschaft Elektra Baselland) für den Aufbau eines Wärmeverbunds im unteren Worblental. Mit der vertraglichen Absicherung geplanter Netzanschlüsse mit Abnehmern in Ittigen, Zollikofen und auf dem Gebiet der Stadt Bern (u.a. Tiefenau-Spital, Stiftung Rossfeld) stehen nun für die Realisierung eines Fernwärmenetzes die Ampeln auf Grün. Zwar tritt die ARA nicht als Investor für die Fernwärme auf. Dennoch ist die Zusammenarbeit mit der EBL sehr eng – in beiderseitigem Interesse. Geplant ist nämlich der Bau einer Energiezentrale als zweite Etage über der biologischen Reinigungsstufe der Kläranlage. Der Spatenstich wird für den Herbst 2021 erwartet und die neue Energiezentrale wird einen Grossteil der Wärme direkt aus dem Abwasser gewinnen: Eine Wärmepumpe entzieht daraus einen Teil der thermischen Energie und führt diese auf einem höheren Temperaturniveau der Energiezentrale zu. Als zweite wichtige Quelle wird die Hochtemperatur-Abwärme aus den beiden neuen BHKW genutzt. Schliesslich ist für Spitzenlast-Situationen an kalten Wintertagen ausnahmsweise der Einsatz fossiler Brennstoffe vorgesehen.
Sekundäre Regelenergie
Optimale Rahmenbedingungen also, um mit der Erneuerungsinvestition aus dem Klärgas energetisch das Maximum herauszuholen. Die neu installierten Blockheizkraftwerke weisen gegenüber den Vorgängermodellen eine höhere Leistung von je 400 kWel aus. Für betriebsinterne Prozesse, wie etwa zur Belüftung der biologischen Reinigungsstufe, braucht es beträchtliche Mengen Strom. Allerdings produzieren die beiden Wärme-Kraft-Kopplungs-Anlagen über den betrieblichen Eigenverbrauch (von ungefähr 3 bis 4 GWh) hinaus einen Überschuss an elektrischem Strom von jährlich 1 – 2 GWh. Die gesamte Stromproduktion entspricht einem Strombedarf von 1200 Haushaltungen. Die ARA Worblaufen als Gemeindeverband vermarktet diesen Strom über das Direktvermarktungssystem ins öffentliche Netz. Zusätzlich beteiligt sie sich am so genannten Regelenergiemarkt. Das heisst: Der 1600 m3 grosse Gasspeicher der Kläranlage dient als Puffer, um gezielt elektrische Energie zu produzieren, um das Stromnetz zu stabilisieren, indem dem Stromnetzbetreiber ermächtigt wird, die Stromzufuhr aus der ARA kurzfristig zu kappen – eine Systemdienstleistung, die dem Gemeindeverband zusätzlich vergütet wird.
Maximale Energieeffizienz
Ausgeklügelt ist das BHKW-Energiekonzept hinsichtlich der Wärme: Durch das Verbrennen des Klärgases im Gasmotor entsteht wertvolle Hochtemperatur-Abwärme mit einer Temperatur von 95°C, welche über einen Heisswasserkreislauf und Wärmetauscher direkt der Heizzentrale des Fernwärmenetzbetreibers EBL zugeleitet werden kann. Zusätzlich gelang es den Energieplanern, die durch das Wirken des Gasmotors freigesetzte Niedertemperatur-Abwärme sinnvoll zu nutzen. Diese Wärme wird einerseits aus der Abgaskondensation und andererseits aus der Kühlung der Motorenkabinen gewonnen. Eine nachgeschaltete zusätzliche Wärmepumpe wird diese bisher nicht genutzte Abwärme auf Nutztemperatur heben und für betriebseigene Heizzwecke und die Komfortwärme auskoppeln. Die Anlagebetreiber erreichen so einen maximalen Gesamtwirkungsgrad von 96% aus den beiden BHKW-Motoren; ein neuer Massstab in der hocheffizienten Energienutzung! «Man verglich andere Optionen. Mit der Möglichkeit, einen solchen Wirkungsgrad zu erzielen, war der Entscheid rasch klar. Das Einspeisen von Klärgas ins öffentliche Gasnetz war aus unserer Sicht nicht zielführend, benötigt dies nur schon für die Reinigung des Gases zusätzliche Fremdenergie», bemerkt ARA-Geschäftsführer Christoph Streun. «Sobald das Wärmenetz in Betrieb geht, lassen sich dank dem von uns gewählten Energiekonzept rund 3 Millionen Liter fossiles Heizöl im Jahr einsparen.»
Notstrom, reine Luft, smarter Alarm
Zum erneuerten Energiekonzept der Kläranlage gehört auch der Umbau der Notstromversorgung. Fällt der Strom aus dem öffentlichen Netz aus, würde das zusätzlich installierte Dieselnotstrom-Aggregat anspringen, anschliessend eines der BHKW wieder neu starten, damit die biologischen Reinigungsstufen vollständig betrieben werden können und zusätzlich Wärme den Faultürmen zugeführt wird. «Wir legen Wert auf ein funktionierendes Notstromkonzept, damit wir über einen längeren Zeitraum autark agieren können», so Christoph Streun.
Bei der Erneuerung der Energieversorgung ging die Reinhaltung der Luft nicht vergessen. Das Hinzufügen einer wässerigen Harnstofflösung provoziert eine katalytische Reaktion im Abgas, womit die Stickoxide aus dem Verbrennungsprozess stark reduziert werden können.
Und schliesslich dürfen sich die Betreiber auf den Komfort der Steuerungssoftware verlassen: Diese ist komplett ins Prozessleitsystem der ARA integriert und zeigt alle Funktionen und Betriebszustände mit einer visuell ansprechenden Symbolik auf dem Bildschirm an. Und via Smartphone-App erreichen Alarmsignale die Mitarbeitenden selbst im Homeoffice, damit diese baldmöglichst vor Ort sind und im weitläufigen ARA-Areal zum Rechten schauen.
Wärme-Kraft-Kopplung der ARA Worblental in Zahlen
Wärmebedarf im Jahr (1. Ausbaustufe des Wärmenetzes, geschätzt) 23 GWh
Davon Hochtemperatur-Wärmeabgabe aus den BHKW (geschätzt): 5 GWh
Stromerzeugung aus beiden BHKW-Einheiten im Jahr (geschätzt) 4 – 5 GWh
Leistung pro neues BHKW-Modul, elektrisch 400 kW
Leistung pro neues BHKW-Modul, thermisch 419 kW
Weitere Informationen:
Gemeindeverband ARA Worblental
Markus Baumann, Leiter Projekte & Verfahrenstechnik
ARA-Strasse 50, 3048 Worblaufen
m.baumann@ara-worblental.ch
ara-worblental.ch