Wer entlang den bekannten Winzerdörfern am Bielersee fährt, ahnt wenig vom «Plateau de Diesse», einer fruchtbaren Ebene auf rund 800 Höhenmetern. Das noch bäuerlich geprägte Dorf Lignières, im Kanton Neuenburg gelegen, erstreckt sich am Südwestrand dieses Hochplateaus südlich des Chasseral; quasi auf einer Terrasse hoch über dem See, erreichbar über eine serpentinenförmige Bergstrasse. Im Weiler Le Moulin – nordöstlich des Dorfkerns – sind zwei grosse, runde Biofermenter und eine grosse, offene Halle voll mit Mist zu entdecken. Das muss die Biogasanlage sein!
Drei Betriebszweige
Jean-Luc Bonjour, Teilhaber einer landwirtschaftlichen Betriebsgemeinschaft, führt durch die Anlage. Die als Substrat für die mikrobielle Vergärung eingesetzten Rohstoffe weisen eine breite Farbpalette auf – vom hellgelben Mehlstaub über den groben Pferde- und Rindermist bis zum fast schwarzen Kaffeesatz. Zusammen mit dem Geschäftspartner und Cousin Aurèle Chiffelle führt er einen Landwirtschaftsbetrieb mit 80 ha. Zudem gründeten die beiden das Unternehmen TeamAgri S.A., ein so genanntes Lohnunternehmen, das Arbeiten für andere Betriebe in der Nachbarschaft erledigt. Mit dem Bau der Biogasanlage wurde vor drei Jahren ein drittes Unternehmen gegründet: TeamEnergie S.A. Inzwischen sind auch die Söhne der beiden in allen Aktivitäten integriert. Mit den eigenen Stallungen kommt zwar viel Mist und Jauche zusammen. Doch das genügt nicht. Gleichzeitig zum Bau der Biogasanlage wurde ein Netz von unterirdischen Leitungen gebaut, welche regelmässig Jauche von 4 Bauernhöfen zu den Fermentern zuführt.
Der Strukturwandel in der Landwirtschaft hat auch einen Einfluss auf das Biomasse-Angebot. Bonjour erläutert: «Von Vorteil sind die Pferdestallungen in der Nähe, da wir übers Jahr durch mit unseren Containern regelmässig dort Mist holen können. Die Kuhhaltung geht zurück. Wir selbst halten noch 120 junge Bullen.»
Ein langer Weg
Gärrückstände aus der Biogasanlage sind ein wertvoller Ersatz für Stickstoffdünger, den man sonst einkaufen müsste. Doch eine teure Biogasanlage ist nur dann profitabel, wenn mehrere Vorteile daraus resultieren. Auch in Lignières wird das entstandene Gas vor Ort in einem Blockheizkraftwerk (BHKW) zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt. Doch wie kam es dazu? Jean-Luc Bonjour erzählt: «Die Geschichte begann 2013. Mein Sohn war im letzten Jahr der Bauernschule. Die Klasse besuchte eine Biogasanlage. Der Sohn erzählte zuhause begeistert davon.» Das wirkte. Vater Bonjour und sein Geschäftspartner nahmen Kontakt auf mit einem regionalen Stromversorgungsunternehmen, damals in der Region federführend in der Projektierung solcher Anlagen. Jahre der Planung zogen ins Land: Zahlreiche Konzepte, Skizzen folgten. Auf Anraten hin schrieben sich die Investoren auf eine Warteliste für die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) ein.
Inzwischen hatte sich die Ausgangslage für die Finanzierung verändert. Die ehemaligen Berater einer Tochtergesellschaft eines Westschweizer Stromkonzerns zogen sich zurück und orientierten sich um. Eine regionale Bank empfahl, das unternehmerische Risiko selbst zu schultern. «Da mussten wir zuerst einmal durchatmen und Zweifel kamen auf, da wir unser ganzes Vermögen als Eigenkapital ins Projekt einschossen», erinnert sich Bonjour. Ein Rettungsanker war die Schweizerische Berghilfe (SAB), denn Lignières liegt laut Produktionskataster des Bundes in einer Bergzone. Also reichte man ein Dossier mit allen Details des Projektes ein. Und tatsächlich: Die SAB gewährte eine stattliche à-fonds-perdu-Unterstützung. Mit gestärktem Rücken wagte man sich ins unternehmerische Abenteuer.
Grosser Motor installiert
Schliesslich musste man bei der Gemeinde eine Baubewilligung einholen; die ging glatt durch – ohne Einsprachen. Dann ging es um die Frage, welchen Gasmotor man fürs BHKW installieren sollte. Auf Anraten von anderen Betreibern in der Region fiel die Wahl auf eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage des Typs Jenbacher. Dazu Bonjour: «Die Firma sagte uns: Wir bauen nur grosse Maschinen; wir mussten uns also eine Gasturbine mit doppelte Leistung als die ursprünglich geplanten 280 kW anschaffen. Vor 2 ½ Jahren waren wir noch unsicher, ob wir die Menge Biogas aufbringen für ein effizientes Betreiben des Motors. Heute zweifeln wir nicht mehr. Wir haben die Menge.»
Der Vorteil der drei landwirtschaftlichen Betriebszweige: Sie ergänzen sich perfekt zueinander. Dank des grossen Fahrzeugparks kann das Unternehmen TeamAgri mit dem LKW und den richtigen Behältern auch grössere Transportwege bewältigen – auch für die Anlieferung von Mist in die Biogasanlage.
Strom und Wärme vermarkten
Vermarktet wird der Strom durch Flecopower, einer Tochtergesellschaft von Oekostrom, des Fachverbandes für landwirtschaftliches Biogas. Flecopower bietet gebündelt Strom am Markt an und verhandelt Preise mit dem Netzbetreiber Swissgrid. Das Unternehmen kauft überdies auch die heiss begehrten, da energiereichen Co-Substrate wie Kaffeesatz und Permeat bei Herstellern der Nahrungsmittelindustrie ein.
Was passiert mit der Wärme? Die Investoren studierten ab 2014 diese Frage und prüften verschiedene Varianten, so u.a. a) das intensive Trocknen von Hackschnitzeln für diverse Abnehmern oder b) das Turbinieren organischer Kohlenwasserstoffe – anstelle von Wasser (ORC-Verfahren).
Schliesslich kam die Gemeinde auf sie zu. Die Gemeinde Lignières betreibt seit vielen Jahren ein über 7 km langes Fernwärmenetz, an die über 150 Gebäude angeschlossen sind. Die grosse Hackschnitzel-Heizzentrale, die man nun renoviert hat, liegt 500 Meter von der Biogasanlage entfernt. So kam es zum Entschluss, die zuverlässige Wärmequelle dank des ganzjährigen Betriebs des BHKW mittels einer Leitung an die Hackschnitzelzentrale zu erschliessen.
TeamEnergie profitiert zusätzlich von der Klimaschutz-Kalkulation: Man kalkuliert die Tonnen des klimaschädlichen Methans – in CO2-Äquivalenten gemessen –, die dank des BHKW nicht ungehindert in die Atmosphäre gelangen.
Und benachbarte Agrarbetriebe, die Mais, Zuckerrüben oder Raps anbauen, sind scharf auf die nährstoffreichen Gärrückstände aus der Biogasanlage. TeamAgri füllt regelmässig eine Zisterne damit und verteilt diese in der Umgebung. Und so schliesst sich der Stoffkreislauf wieder.
Technische Angaben BHKW-Modul TeamEnergie Lignières
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Motorhersteller
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Jenbacher (A)
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Motortyp
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JMS 312
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Anzahl & Anordnung der Zylinder
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12 in V
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Hubraum total
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lt
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29.2
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Leistung elektrisch
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kW
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548
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Wirkungsgrad elektrisch
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–
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42%
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Leistung thermisch (nutzbar)
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kW
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557
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Wirkungsgrad thermisch
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–
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43%
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Gesamtwirkungsgrad
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–
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85%
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Gas Verbrauch
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Nm³/h
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260
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Abmessung und Gewicht Modul
(Motor + Generator)
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Länge
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m
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4.7
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Breite
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m
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2.3
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Höhe
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m
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2.3
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Gewicht
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kg
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9’600
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Energieabgabe
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Stromerzeugung im Jahr in GWh *
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2023
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4,095 GWh elektrisch
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Wärmeabgabe im Jahr in GWh (geschätzt)
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2023
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4,163 GWh
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*Im Jahr 2023 wurden ca. 4,1 GWh Strom ins Netz eingespiesen. Damit kann man rund 1000 Haushalte rund um die Uhr mit Strom versorgen. Das BHKW-Modul wurde von IWK zu Beginn Dezember 2021 in Betrieb genommen und lief bisher 25’000 Betriebsstunden.