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Kaffeesatz, Mist und Gülle

Kollaboration mit der Lebensmittelindustrie und Partnerbetrieben führt zu geschlossenen Kreisläufen

Zwei junge Landwirte und Brüder optimieren die Wertschöpfung aus ihrem Agrarbetrieb, indem sie mit der örtlichen Lebensmittelindustrie und weiteren Höfen der Region kooperieren. Material- und Energiekreisläufe werden geschlossen, indem Lebensmittelabfälle, Jauche und Mist gesammelt, Kaffeekapseln getrocknet und Energie in Form von Strom und Wärme bereitgestellt wird.

Vully Energies SA, Montmagny, Cudrefin (VD)

Cleverer Material- und Energiekreislauf am Mont Vully

Wenn in der Schweiz Landwirtschaft intensiv betrieben wird, dann hier. Nördlich von Payerne öffnet sich das Broyetal zu einer weiten, bis 5 km breiten Talsenke mit zahlreichen Ackerflächen. Zwischen dem Neuenburgersee und dem Tal zieht sich ein langgestreckter Höhenrücken, der ebenfalls von einer intensiven Bodenbewirtschaftung geprägt ist. Auf der linken Seite der Strasse nach Cudrefin nördlich der Ortschaft Montmagny entdeckt man zwei in Grün schimmernde Hauben als Teil einer grossen Biogasanlage und grosse Stallungen. Im topmodernen Laufstall mit seitlicher Aussenbelüftung sind Jungrinder für die natürliche Aufzucht und die Fleischproduktion eingestallt. Ein Futterroboter zieht seine Bahnen und schiebt frisches Mais zu wohlportionierten Häufchen an die Fressplätze entlang den Gehegen. Angesichts der 360 Jungrinder für die Rindermast und den 80 Kühen in einem anderen Stall handelt es sich durchaus um einen agrarischen Grossbetrieb, den Pascal Amiet und sein Bruder bewirtschaften. Viel Nutztiere geben viel Mist und Gülle! Ergo: Mit der energetischen Nutzung dieses «Unrats» lässt sich die Wertschöpfung erheblich verbessern, ohne an der grundsätzlichen Ausrichtung des Agrarbetriebs etwas verändern zu müssen.

Begeisterung gegen Skepsis

«Alles passierte schnell bei uns», erinnert sich Pascal Amiet. Er und sein Bruder diskutierten während den Weihnachtstagen 2016 die Projektidee. Man war sich schnell einig und suchte den naheliegendsten Partner in der Region für erneuerbare Energien, um eine Biogasanlage mit angeschlossener Wärme-Kraft-Kopplung zu realisieren: Greenwatt, eine Tochtergesellschaft des Westschweizer Energieversorgungsunternehmens Groupe E plant, realisiert und betreibt für Gemeinden und Private Fotovoltaikanlagen, Kleinwasserkraftwerke und Windparks.

Doch die erste Rückmeldung war zurückhaltend bis ablehnend. Denn mit der Neuausrichtung der Energiepolitik des Bundes war ein Auslaufen der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) als Förderinstrument beschlossen. Neue Projekte wurden demnach nur noch bis zu einem gewissen Anmeldezeitpunkt aufgenommen – für KEV aus Biomasse musste der Antrag vor Beginn November 2017 bewilligt werden.

Dennoch erhielten die beiden Landwirte die Chance, ihr Projekt der Geschäftsleitung zu präsentieren. Die beiden hatten Glück und erhielten innert acht Monaten nach Einreichung ihres Projekts die Baubewilligung von der Gemeinde – dies half, bei der Warteliste zur Zulassung für einen KEV-Tarif «nach vorne zu rücken». Zuerst beteiligte sich Greenwatt als Investor finanziell am Projekt der jungen Landwirte und man gründete zusammen die Vully Energies SA. Doch es kam anders: Bereits während der Bauphase stieg – anstelle von Greenwatt – die noch junge Firma Engreen als Teilhaber ins Boot. Das Unternehmen kümmert sich um die optimierte Verwertung von organischem Abfall aus der Landwirtschaft ebenso wie um das Sammeln von Lebensmittelabfällen aus Kantinen, Spitälern und Restaurants.

Kaffeekapseln trocknen

Frappantes Beispiel dieser Kollaboration: Auf dem Rundgang durch den Betrieb fällt der Blick von einer metallenen Tribüne auf riesige Wannen voller Nespresso-Kaffeekapseln. Breite Luftschläuche aus flexiblem Material führen warme Luft aus einem Wärmetauscher in die Wannen. Die Betreiber von Vully Energies SA werden für jedes Kilogramm verdampftes Wasser bezahlt, die sie den Kapseln entziehen. Eine notwendige Voraussetzung, damit das Aluminium vom Kaffeesatz getrennt werden kann.

«Die Grossbehälter wiegen 15 Tonnen, wenn sie ankommen, nach der Verdampfung noch 6 Tonnen», macht Pascal Amiet deutlich und ergänzt: «Pro Woche können wir so bis zu 6 Wannen behandeln.» Im Recyclingzentrum des Nespresso-Partners – der BAREC-Group – im nahe gelegenen Moudon wird das Aluminium dann von seinem energiereichen Inhalt getrennt.

Landwirt Amiet lässt etwas vom Kaffeesatz, der zu tonnenschweren Haufen auf die Beschickung in den Biogas-Fermenter wartet, durch seine Hände rieseln. Noch besser riechen Reste aus der Schokoladeindustrie – auf einem anderen Haufen. Woanders sind Aufschüttungen von Maisstaub, Hühner-, Kuh- und Pferdemist zu entdecken.

Ohne Kooperation geht nichts

Die Beschaffung des Materials wie die Beschickung des Fermenters muss Regeln gehorchen: Mist und Jauche darf in einem Radius von 20 km zugeführt werden. Für organische Abfälle aus der Lebensmittelindustrie und dem Detailhandel gelten 50 km, die zudem nur in einem Verhältnis 20% zu 80% als Material der Biogasanlage zugemischt werden dürfen. Die Regel macht nachvollziehbar Sinn: «Man kann den Bakterienkulturen in den Fermentern nicht nur sehr energiereiche Materie zuführen, sonst kippt der ganze Prozess – nicht unähnlich der menschlichen Verdauung», so Amiet.

Damit das Verhältnis der Zutaten für die Fermentation zu Biogas in globo stimmt, arbeitet Vully Energies SA mit drei anderen Bauernhöfen in der Region zusammen – eine Schweinemast, zwei Rindviehbetriebe. Man holt Mist und Jauche mit eigenen Fahrzeugen und beliefert diese mit dem nährstoffreichen, aber demethanisierten Gärsubstrat – im Verhältnis zur Nährstoffbilanz (mit Stickstoff als Hauptträger). Monetär wird nichts miteinander verrechnet; man sei aufeinander angewiesen, so der Landwirt.

Auch die Kooperation zwischen den Biogasanlagen in der Broye-Region ist gut eingespielt. Vully Energies lässt den Kaffeesatz für eine andere Anlage trocknen, währenddessen der Partnerbetrieb die organischen Abfälle aus dem Lebensmittel-Detailhandel mit Hilfe einer Maschine von deren Kunststoff-Verpackungen trennen kann.

Steigende Energiepreise

Seit einem Jahr läuft die Maschinerie ohne nennenswerte Pannen. Alle drei Stunden wird aus einer Sammelstelle Gärgut dem ersten Fermenter zugeführt; gleichzeitig die gleiche Menge – ungefähr 10 Tonnen – in den Nachgärer. Die optimale Verweildauer des Materials in beiden Gärbehältern beträgt 60 Tage.

Damit das installierte Blockheizkraftwerk (BKHW) keinen Schaden nimmt, muss das gewonnene Biogas gekühlt, entfeuchtet und entschwefelt werden. Beim Rundgang ist von einer Anzeige abzulesen: Dem BHKW wird Biogas mit einem Methan-Gehalt von 58% zugeführt. Der damit gewonnene elektrische Strom wird über die Firma Flecopower vermarktet. Ein Projekt für die mittelfristige Zukunft: Die Wärme soll zusätzlich für das Trocknen von Heu, Ölsaaten und Getreide genutzt werden. Die Anschluss-Stutzen in der Pumpenstation im Untergeschoss der Biogasanlage sind bereits montiert. Wie weiter, sollte der Auftrag zum Trocknen der Kaffeekapseln eines Tages entfallen? Kein Grund zur Sorge für den jungen Landwirt: «Die steigenden Energiepreise spielen uns in die Hand. Wir werden sicherlich interessante Anwendungen für unsere thermischen kWh finden.»

Wärme-Kraft-Kopplung der Vully Energies SA in Zahlen

 

Elektrische Leistung BHKW                        548 kW
Thermische Leistung BHKW                       558 kW

Stromerzeugung im Jahr (geschätzt)       4 GWh
Wärmeabgabe im Jahr (geschätzt)           4 GWh

Inbetriebnahme der Anlage:                     14. Juli 2021

 

Weitere Informationen:

Engreen SA
Bruno Bonvin, 3186 Düdingen

Bruno.bonvin@engreen.ch

 

Pascal Amiet vor seinem Blockheizkraftwerk: Der damit gewonnene elektrische Strom wird über die Firma Flecopower vermarktet.
Auf der Bühne lässt sich visuell das Geschehen rund um die Biogasanlage gut kontrollieren.
Angesichts der 360 Jungrinder für die Rindermast und den 120 Jungstieren für die Aufzucht in einem einzigen Stall handelt es sich bei Amiets Hof um einen Grossbetrieb. Ein Futterroboter zieht seine Bahnen und schiebt frisches Mais zu wohlproportionierten Häufchen.
Auf dem Vorplatz der Biogasanlage stehen riesige Wannen voller Nespresso-Kaffeekapseln. Breite Luftschläuche aus flexiblem Material führen warme Luft aus einem Wärmetauscher in die Wannen.
Landwirt Amiet lässt etwas vom Kaffeesatz, der zu tonnenschweren Haufen auf die Beschickung in den Biogas-Fermenter wartet, durch seine Hände rieseln.
Der sensorische Test beweist es: Noch besser riechen Reste aus der Schokoladeindustrie.
Beim Rundgang ist von einer Anzeige abzulesen: Dem BHKW wird Biogas mit einem Methan-Gehalt von 58% zugeführt.
Das Schutzdach für die Aufbewahrung der Gärgüter ist mit Photovoltaik-Paneelen bedeckt. Der Separator (in der Bildmitte) trennt das Flüssigmaterial vom trockenen Gärmaterial.
Im Untergeschoss der Biogasanlage befördern Pumpen das genau kalkulierte Gemisch aus Jauche und Mist in die Fermenter.

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